Netanjahu ist total abhängig von Trump
- itrabi7
- May 22
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Der Historiker und israelische Ex-Spitzendiplomat Itamar Rabinovich über den strategischen Umbruch im Nahen Osten, die verpasste Chance für ein Ende des Gaza-Kriegs, den Wankelmut von Donald Trump und den Ansehensverlust Israels.
Die Presse, 11 Mai 2025

Israels Regierung hat neulich angekündigt, die Militäroperation in Gaza zu verstärken und weitere Teile des Küstenstreifens zu besetzen. Was halten Sie von dem Plan?
Itamar Rabinovich: Das ist keine gute Idee. Die israelische Regierung hätte den Gaza-Krieg längst beenden sollen. Der frühere US-Präsident Joe Biden legte einen einwandfreien Plan auf den Tisch: Er wollte die Terrorgruppe Hamas in Gaza durch die Autonomiebehörde ersetzen und israelisch-palästinensische Friedensgespräche in Gang bringen, um so die Anerkennung Israels durch Saudiarabien zu ermöglichen und eine prowestliche, anti-iranische Koalition im Nahen Osten zu schaffen. Doch die Regierung von Benjamin Netanjahu war nicht in der Lage mitzuziehen.
Warum?
Der Regierung gehören rechtsextreme Kräfte an, die eine Rückkehr der palästinensischen Autonomiebehörde nach Gaza ebenso ablehnen wie eine Zweistaatenlösung. Ohne Absetzung der Hamas kann man den Gaza-Krieg nicht beenden. Die Hamas wiederum kann man nur loswerden, wenn jemand anderer die Regierungsverantwortung in Gaza übernimmt. Und die Einzigen, die das wollen und vielleicht dafür sogar kämpfen, sind die Führer der Autonomiebehörde, die 2007 von der Hamas gewaltsam aus Gaza vertrieben wurde.
Was genau will Netanjahu? Will er wirklich Gaza vollständig besetzen und die dortige palästinensische Bevölkerung vertreiben?
Ich denke nicht, dass Netanjahu so weit geht. Er will die Hamas mit erhöhtem militärischen Druck dazu zwingen, einen Waffenstillstand zu akzeptieren und die verbliebenen Geiseln freizulassen. Israel verfolgt zwei Kriegsziele in Gaza: die Hamas als politische und militärische Kraft zu eliminieren und die Geiseln zurückzubringen. Die zwei Kriegsziele widersprechen einander jedoch. Denn je höher der Druck auf die Hamas wird, desto wahrscheinlicher wird es, dass Geiseln getötet werden. Meiner Meinung nach führt uns die Politik von Netanjahu nirgendwohin.
Das ist in den vergangenen 19 Monaten ausgiebig dokumentiert worden.
Der Krieg hat auch positive Auswirkungen, aber nicht in Gaza. Israel hat der Hisbollah im Libanon und dem Iran heftigen Schaden zugefügt. Der Iran hat Israel zweimal mit Raketen angegriffen, Israel hat daraufhin iranische Luftabwehrsysteme ausgeschaltet. In Syrien hat die Schwächung des Iran und der Hisbollah zum Sturz der Assad-Dynastie geführt. Wir können die neue syrische Regierung noch nicht einschätzen. Doch der Iran wollte über den Irak, Syrien und den Libanon eine Landbrücke zum Mittelmeer bauen und Israel einkreisen. Syrien war in dieser Kette ein sehr wichtiges Glied, das der Iran nun verloren hat.
Sind diese strategischen Gewinne der israelischen Regierung zu Kopf gestiegen?
Die Hybris ist klar zu sehen. Netanjahu glaubt, er erreicht alles mit militärischer Gewalt. Doch das funktioniert nicht. Ab einem gewissen Zeitpunkt muss man militärische Gewinne in politisches und diplomatisches Kapital ummünzen. Netanjahus Regierung ist dazu aufgrund ihrer extrem rechten Zusammensetzung nicht fähig. Polizeiminister Itamar Ben-Gvir, ein verurteilter Verbrecher, und Finanzminister Bezalel Smotrich sind vielen Israelis ein Gräuel. Bei Wahlen würde die Regierungskoalition verlieren.
Deswegen bleibt diese Koalition zusammen.
Eines muss man Netanjahu lassen: Er ist ein superber Politiker. Er weiß, wie man eine Regierung zusammenhält.
Doch ist das gut für Israel?
Definitiv nicht. Es ist für kein Land gut, wenn ein Mann so lang an der Macht ist. Höchstens acht bis zehn Jahre, das sollte genug sein. Außerdem hat diese Regierung das gewaltige Debakel vom 7. Oktober zu verantworten. Sie sollte sich Wahlen stellen, um herauszufinden, ob sie noch Legitimität hat oder der Opposition das Feld überlassen sollte.
Bis zur nächsten Wahl dauert es noch eineinhalb Jahre. Was macht sie so optimistisch, dass die Opposition gewinnt?
Die Umfragen verfolge ich mit religiösem Eifer. Ich stehe allerdings nicht nur der Regierung, sondern auch der Opposition kritisch gegenüber. Sie ist zersplittert und hat keinen Anführer. Meine Hoffnung, dass aus der Protestbewegung gegen Netanjahus staatsstreichähnliche Justizreform frisches Blut in die Opposition fließt, hat sich aber nicht erfüllt.
Was bedeutet die Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus für Israel und Netanjahu?
Gute Frage. Diese Woche hat Trump Israel strategisch überrascht und Netanjahu in der Luft hängen lassen, als er ein Ende der US-Militäroperation gegen die Houthi-Rebellen im Jemen verkündet hat. Und als Netanjahu nach Washington kam, erhielt er keinen Nachlass bei den Zöllen, sondern die Nachricht, dass die USA Verhandlungen mit dem Iran beginnen. Trump ist aus israelischer Sicht ein zweischneidiges Schwert. Er hat ein paar gute Dinge für Israel gemacht, etwa die Abraham-Abkommen. Er leistete auch einen wichtigen Beitrag, um die letzte Freilassung von Geiseln zu erreichen. Gleichzeitig ist Trump wankelmütig.
Man kann sich auf ihn nicht verlassen.
Netanjahu ist total abhängig von Trump geworden: Er kann nicht mehr Nein zu ihm sagen. Das Spiel, das er mit Biden und Obama spielte, existiert nicht mehr. Er kann den US-Präsidenten nicht einfach im Kongress umgehen und untergraben. Trump kontrolliert den Kongress, die Regierung und zum Teil auch das Oberste Gericht. Was kann Netanjahu tun? Er hat keine Waffen mehr.
Was wird bei den Verhandlungen zwischen den USA und dem Iran herauskommen?
Das weiß niemand. Ich nehme an, dass es ein Abkommen geben wird. Und dann wird Trump behaupten, dass es viel besser als vorangegangene Vereinbarungen sei, auch wenn das vielleicht gar nicht stimmt. Ein Abkommen sollte sich nicht nur um Atomfragen drehen, sondern auch um ballistische Raketen und Irans Rolle als regionaler Störenfried.
Was ist Trumps Strategie für den Nahen Osten?
Ich weiß nicht, ob er eine große Strategie im Kopf hat. Trump legt auf strukturierte Vorarbeit in Planungsstäben und im Nationalen Sicherheitsrat offenbar wenig Wert. Seine Idee, aus Gaza eine Riviera zu machen und in amerikanischen Besitz zu nehmen, war spontan und nicht vorbereitet.
Hinter den Abraham-Abkommen stand sicherlich ein Plan.
Trump hat Ideen, die auftauchen und wieder verschwinden. Als er Sonderbotschafter Steve Witkoff zu Verhandlungen über einen Waffenstillstand nach Israel schickte, hatte man gedacht, Trump würde am Ball bleiben. Aber dann hat er das Interesse verloren. Jetzt, da Trump nächste Woche nach Saudirarabien reist, ist er wieder interessiert. Wenn die Saudis ihm sagen, sie wollen die Beziehungen mit Israel normalisieren, sobald bestimmte Bedingungen in Gaza erfüllt sind, könnte Trump danach Druck auf Netanjahu ausüben. Oder er wendet sich ab. Ich unterschätze Trump nicht. Er kennt sich aus, erinnert sich an alle Namen und Fakten. Er ist kein Ronald Reagan. Aber er ist launenhaft und arbeitet unorganisiert.
Wird Israel die iranischen Atomanlangen im Sommer angreifen, wenn die USA und der Iran kein Abkommen erzielen?
Ich bin kein Fan von Attacken auf iranische Atomanlagen. Sie setzen dem Atomprogramm kein Ende. Man kann Einrichtungen zerstören, nicht aber die Expertise. Die Iraner wären danach erst recht motiviert, die Atombombe zu bauen, um weitere Angriffe zu verhindern Ich ziehe ein Abkommen einem Militärschlag vor. Am besten wäre letztlich ein Regimewechsel in Teheran. Das Problem sind nicht die Atomwaffen, sondern wer sie besitzt. Eine Atombombe in der Hand des iranischen Regimes wäre gefährlich und hätte zur Folge, dass auch andere Länder des Nahen Ostens atomar aufrüsten. Die Saudis haben wahrscheinlich schon in Pakistan eine Atombombe im Regal. Auch die Türkei und Ägypten wären verlockt, zu Atommächten aufzusteigen.
Israel ist international isolierter denn je. Macht Ihnen diese Entwicklung Sorgen?
Ich bin sehr besorgt deshalb. Ein Kleiner jüdischer Staat inmitten einer arabischmuslimischen Region ist abhängig von der Unterstützung der Welt. Schließlich ist Israel von der UNO geschaffen worden als geteilter Staat in Palästina. Israel stand früher in vielen Bereichen für Fortschritt. Zuletzt hat es an Ansehen in der Welt verloren.
Wie kann diese Entwicklung gestoppt werden?
Durch einen Regierungswechsel und eine andere Politik. Ich unterstütze die Zweistaatenlösung. Wir müssen uns von den Palästinensern separieren und aufhören, Besatzer zu sein. Das mag nicht relevant für morgen Früh sein. Die palästinensische Autonomiebehörde ist ineffizient, korrupt und wird von alten Männern geführt, die zurücktreten sollten. Doch ich möchte ein Ende des Gaza-Kriegs und zumindest eine Perspektive für einen palästinensischen Staat sehen. Das wäre auch für Israel gut.
Sehen Sie denn auch nur ansetzweise eine neue Generation, die an die Zweistaatenlösung noch glaubt?
Es gibt eine Drift nach rechts. Das ist normal in Kriegszeiten. Das kann kann man rückgängig machen. Doch um den Diskurs zu verändern, wäre Führung nötig. Ich hatte das Privileg, mit den israelischen Premiers Yitzhak Rabin und Shimon Peres zu arbeiten. Daher weiß ich, was Führungspersönlichkeiten bewegen können.
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